Aufgabengestaltung im Kontext zukunftsorientierter Prüfungsformate

Die sich rasant wandelnde Gesellschaft stellt neue Anforderungen an die schulischen Lern- und Prüfungskulturen. Ein dynamischer Arbeitsmarkt, technologischer Fortschritt sowie eine zunehmend vernetzte, globale Umwelt prägen die Lebens- und Arbeitsrealität heutiger Schülerinnen und Schüler und verlangen nach einer grundlegenden Neuausrichtung von Aufgabenformaten und Prüfungsformen. Eine zukunftsorientierte Prüfungskultur berücksichtigt nicht nur den Einfluss der Digitalisierung, sondern auch den wachsenden Bedarf an fachlichen, überfachlichen und vor allem reflexiven Kompetenzen (vgl. OECD-Lernkompass 2030). Da Prüfungen gemeinhin als Gradmesser des Lernerfolgs gelten, müssen sie entsprechende Lern- und Entwicklungsprozesse sichtbar machen und fördern, sodass eine Anpassung von Prüfungsformen und -formaten an die veränderten Prozesse notwendig ist.

Zentral für diese Neuorientierung ist eine präzise und durchdachte Aufgabengestaltung. Zukunftsorientierte Aufgaben sollten nicht lediglich momentane Wissensstände abfragen, sondern den gesamten Lernprozess in den Blick nehmen. Dazu gehört die Förderung sowohl fachlicher als auch überfachlicher Kompetenzen, etwa durch die Einbindung komplexer Problemstellungen, die Anwendung agiler Methoden wie Design Thinking oder Scrum und die Einbeziehung von Reflexionsphasen. Ob Schülerinnen und Schüler ihr Wissen in einer klassischen Klausur oder einer Präsentationsprüfung darlegen, ist dabei zweitrangig – entscheidend ist, dass die gestellten Aufgaben den Erwerb, die Anwendung und die Weiterentwicklung von Kompetenzen fördern sowie deren Sichtbarkeit ermöglichen.

Im Systematisierungsansatz folgt auf die Zielüberlegungen, die Wahl der Produktdimension und ihrer Ausprägung, die Aufgabenformulierung und Ableitung von Kompetenzen. Die beschriebene Komplexität der Aufgabenformulierung, die an dieser Stelle vorgenommen werden muss, kann durch das Schieberegler-Modell veranschaulicht werden:

In Anlehnung an den didaktischen Schieberegler von Axel Krommer (2020)

Das Schieberegler-Modell zur Visualisierung der Aufgabengestaltung im Kontext zukunftsorientierter Produkte zeigt die verschiedenen Ebenen auf, in denen eine Anpassung erfolgen kann, sodass Aufgabenformulierung und -gestaltung fokussiert spezifiziert, beziehungsweise individualisiert werden können. Die Dimensionen können jede für sich angepasst werden, treten aber natürlich auch in Wechselwirkungen miteinander ein.  So können die oben geforderte Anwendung und Weiterentwicklung von Kompetenzen realisiert werden.

In diesem Sinne verändert sich die Zeitstruktur der Aufgabenbearbeitung: Zukunftsorientierte Formate lösen sich von starren Zeitvorgaben und erlauben flexible Zeitfenster oder iterative Meilensteine, die dem Entwicklungsprozess eines Produkts näherkommen. Diese Flexibilität fördert nachhaltiges Lernen und inkrementelle Verbesserungsprozesse. Darüber hinaus wird die Arbeitsumgebung neu gedacht. Statt ausschließlich im Klassenraum zu arbeiten, ermöglichen hybride Settings eine ortsunabhängige Zusammenarbeit, die digitale und analoge Lernräume miteinander verknüpft.

Auch bei den Hilfsmitteln zeigt sich ein Wandel: Während früher oft das Arbeiten ohne unterstützende Ressourcen im Fokus stand, sind heute digitale Plattformen, interaktive Anwendungen und analoge Werkzeuge Teil des Lern- und Entwicklungsprozesses. So können Ideenfindung, Planung und Dokumentation effizient gestaltet und die Lernprozesse besser nachvollzogen werden. Entsprechend dem SAMR-Modell (Puentedura 2006) können Prozesse und Ziele von Aufgaben durch digitale Möglichkeiten allerdings nicht nur erweitert oder umgestaltet werden, sondern durch die Optionen digitaler Medien werden auch neuartige Aufgabenformate möglich, die analog sonst nicht umsetzbar wären. 

So eröffnen sich vielfältige Produktformate, die über klassische Text- oder Präsentationsformen hinausgehen. Multimodale Ergebnisse wie Prototypen, Videos, Simulationen oder interaktive Anwendungen machen komplexe Problemlösungen und kreative Ansätze sichtbar und reflektieren den wachsenden Bedarf an Innovationsfähigkeit.

Ein weiterer Kernaspekt ist die Arbeitsweise: Einzelarbeit wird zunehmend durch kollaborative Teamarbeit und agile Methoden ersetzt. Diese Ansätze fördern gemeinsames Lernen sowie iterative Entwicklungsprozesse, die für die Lösung komplexer Probleme notwendig sind.  Werden diese neuen Arbeitsweisen im Schulallltag implementiert, gehen mit ihnen auch ein verändertes Verständnis von Aufsicht und Kontrolle einher. Statt strenger Lehrerkontrolle stehen begleitende Check-ins und Peer-Reviews im Vordergrund, die Selbstorganisation und Reflexion unterstützen. Langfristig agieren Lehrkräfte dabei vermehrt in einer Rolle als Coaches und Moderatorinnen bzw. Moderatoren, was die Eigenverantwortung der Lernenden stärkt. 

Zukünftig können also durch eine veränderte Arbeitsweise als Reaktion auf die veränderten Anforderungen nicht nur andere Aufgaben und Methoden Einzug in die Lernkultur finden sowie neue Review- und Reflektionskulturen entstehen , sondern durch die genannten Prozesse kann sich auch ein verändertes Verhältnis zwischen Lehrkräften und Lernenden etablieren.

Zukunftsorientierte Aufgaben erhalten zudem eine neue Strukturierung: Statt vorgegebener Abläufe werden Lernende als Co-Designer des Prozesses eingebunden. Diese aktive Mitgestaltung fördert Verantwortungsübernahme, Problembewusstsein und Eigeninitiative. Die Methoden sind hierbei nicht auf rein analoge Vorgehensweisen beschränkt, sondern schließen digitale oder hybride Formate ausdrücklich ein, um ein möglichst praxisnahes und zugleich technologiegestütztes Arbeiten zu ermöglichen.

Darüber hinaus verändern sich die Lernpfade: Anstelle einer einheitlichen Aufgabenstellung treten zunehmend individualisierte Formate, die die unterschiedlichen Fähigkeiten und Lernstile der Schülerinnen und Schüler berücksichtigen. Differenzierte Feedbackzyklen unterstützen dabei eine kontinuierliche Entwicklung, indem neben Lehrkräfte zentriertem Feedback auch Peer-Reviews und digitale Rückmeldungen zum Einsatz kommen. Durch diese Vielfalt an Perspektiven wird der Lernprozess noch umfassender sichtbar und reflektierbar.

Die Grundlage für die Entwicklung zukunftsorientierter Aufgaben bildet ein Kompetenzverständnis, das neben fachlichen Kenntnissen auch methodische, digitale, soziale, personale, interkulturelle und handlungsbezogene Kompetenzen einschließt. So werden Lernende nicht nur dazu befähigt, ihr Wissen anzuwenden, sondern auch eigenverantwortlich zu handeln, im Team zu arbeiten und ihr Vorgehen kritisch zu reflektieren. Gerade in einer zunehmend komplexen und globalisierten Welt sind diese Kompetenzen essenziell, um Lernende optimal auf ihre Zukunft vorzubereiten.

Das Schieberegler-Modell bietet dabei eine hilfreiche Perspektive, um die zahlreichen Facetten der Aufgabengestaltung systematisch in den Blick zu nehmen und passgenau zuzuschneiden. Indem es unterschiedliche Dimensionen wie Zeitstruktur, Arbeitsumgebung, Methoden und Feedbacksysteme in Relation zueinander setzt, ermöglicht das Modell eine präzise Abstimmung auf die Lernziele und Bedürfnisse der Schülerschaft. Gleichzeitig eröffnet es neue Möglichkeiten, innovatives und zukunftsorientiertes Arbeiten im Unterricht zu fördern und die Kompetenzen der Lernenden in ihrer gesamten Bandbreite zu stärken. So entsteht eine Lern- und Prüfungskultur, die die Vielschichtigkeit der Herausforderungen unserer Zeit abbildet und jungen Menschen Wege aufzeigt, sich in einer dynamischen Welt selbstbewusst und kompetent zu bewegen.

  • OECD-Lernkompass 2030. OECD-Projekt Future of Education and Skills 2030. Rahmenkonzept des Lernens. Deutsche Übersetzung in Verantwortung der Bertelsmann Stiftung, Deutsche Telekom Stiftung, Education Y. e.V., Global Goals Curriculum e.V., Siemens Stiftung. Gütersloh/Bonn/Düsseldorf/Berlin/München 2020.
  • Ruben R. Puentedura: Transformation, Technology, and Education. 2006, abgerufen am 30-01-2025 (englisch).

Dieser Artikel wurde zusammen mit Anna Hegermann verfasst und steht unter CC-BY-SA 4.0

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