Gestaltung von Aufgaben (in Zeiten von KI)

In einer Bildungswelt, die sich ständig weiterentwickelt und durch technologische Fortschritte definiert wird, müssen wir uns auch mit der Veränderung pädagogischer Praktiken auseinandersetzen. Der jüngste Boom und die breite Verfügbarkeit von Sprachmodellen, wie beispielsweise ChatGPT, haben eine Welle der Reflexion über die Sinnhaftigkeit vieler verbreiteter Aufgabentypen ausgelöst. Vor diesem Hintergrund ergibt sich die Notwendigkeit, unsere Aufgabenstellungen und Prüfungskulturen zu überdenken, insbesondere im Hinblick auf das Konzept einer „zeitgemäßen“ Prüfungskultur.

Es ist jedoch nicht das Ziel, bewährte Aufgabentypen gänzlich aus dem Unterricht zu eliminieren. Vielmehr sollten wir darüber nachdenken, wie wir sie anpassen können, um den Schülerinnen und Schülern Fähigkeiten zu vermitteln, die in einer von Künstlicher Intelligenz geprägten Welt relevant sind. Hier kommt die Weiterentwicklung (Orginal von Axel Krommer) des Schiebereglersmodells ins Spiel, das ich entworfen habe, um Lehrkräften ein Gerüst an die Hand zu geben, mit dem sie Aufgabenstellungen reflektiert und zielgerichtet planen können.

Dieses Modell bietet die Flexibilität, verschiedene pädagogische Ansätze entlang eines Kontinuums zu justieren, das von traditionellen Methoden bis hin zu innovativen, KI-unterstützten Praktiken reicht. Die Schieberegler müssen dabei jeweils nach der spezifischen Zielsetzung des Unterrichts und der Bedürfnisse der Lernenden ausgerichtet werden. In diesem Artikel werde ich erläutern, wie dieses Modell funktioniert und wie es Lehrkräften dabei helfen kann, Aufgaben so zu gestalten, dass sie sowohl ansprechend als auch zukunftsfähig sind.

In meiner Funktion als Fortbildner und Berater für Lehrkräfte begegne ich regelmäßig der Frage, wie der Unterricht angesichts der rasanten technologischen Entwicklungen und der zunehmenden Präsenz von KI-Tools angepasst werden sollte. Die Unsicherheit darüber, wie herkömmliche Aufgabenstellungen neu gedacht werden können, ist ein häufiges Thema. Mein Vorschlag des Schiebereglers, der auf der Grundidee von Axel Krommer aus dem Jahr 2020 basiert, zielt darauf ab, Lehrkräften die möglichen Stellschrauben in der Gestaltung von Aufgaben zu verdeutlichen.

Das Modell des Schiebereglers zur Gestaltung von Aufgaben (in Zeiten von KI) soll Lehrkräften eine Orientierung bieten. Es veranschaulicht die Bandbreite der Optionen, die ihnen zur Verfügung stehen, um den Lernprozess zu strukturieren und zu steuern. Die Lehrkräfte sollen ermächtigt werden, die verschiedenen Dimensionen einer Aufgabe – von der Zeiteinteilung über die Wahl der Hilfsmittel bis hin zur Form des Feedbacks – bewusst und zielgerichtet zu gestalten. Durch die Visualisierung dieser „Regler“ wird es möglich, den Einfluss jeder einzelnen Entscheidung auf das Lernziel zu erfassen und so ein klares Bild davon zu erhalten, wie eine Aufgabe in ihrem Kontext am besten funktioniert.

Das Schiebereglersystem soll den Lehrkräften dabei helfen, ihre didaktischen Entscheidungen auf Grundlage der spezifischen Ziele einer Aufgabe zu treffen. Wenn beispielsweise kritisches Denken und Eigeninitiative gefördert werden sollen, kann der Schieberegler für die Wahl der Hilfsmittel oder für die Art des Feedbacks entsprechend eingestellt werden. Gleichzeitig macht das Modell transparent, wo Kompromisse notwendig sind und wie diese sich auf das Lernergebnis auswirken könnten.

Feste Dauer (45/90 min) zu Flexibler Zeitrahmen

Die Stellschraube ‚Dauer von Aufgaben‘ bewegt sich zwischen festen Unterrichtseinheiten und einem flexiblen Zeitrahmen. Feste Dauern eignen sich für standardisierte Tests oder klare Lernziele, während flexiblere Ansätze individuelle Vertiefung oder beschleunigtes Lernen unterstützen, wie etwa bei umfangreichen Forschungsprojekten. Ein balanciertes Vorgehen kombiniert beides: es kann Struktur bieten und gleichzeitig Raum für Anpassung an die Lernenden ermöglichen.

Klassenraum zu Diverse Lernorte (z.B. Zuhause)

Die zweite Stellschraube beschreibt die Flexibilität des Lernortes: Während der Klassenraum eine zentrale, strukturierte Lernumgebung bietet, ermöglichen diverse Lernorte, wie das Zuhause, eine Verknüpfung des Lernens mit verschiedenen Kontexten. Ein hybrides Modell, das traditionellen Unterricht mit Lernaktivitäten außerhalb der Schule kombiniert, kann das Bildungserlebnis bereichern und praktisches Wissen fördern.

Keine Hilfsmittel zu Diverse (KI-gestützte) Hilfen

Die Verwendung von Hilfsmitteln variiert zwischen autonomem Problemlösen und der Nutzung von KI-gestützten Tools zur Vertiefung des Verständnisses. Eine Zwischenlösung integriert Basiskompetenzen zunächst ohne technische Unterstützung, bevor komplexere Aufgaben mit technologischen Hilfen angegangen werden.

Standardisiertes Produkt (z.B. Text) zu vielfältige Produktformen (z.B. Podcasts)

Die Produktform reicht von standardisierten Textaufgaben bis zu kreativen Formaten wie Podcasts, um vielfältige Fähigkeiten zu fördern. Ein ausgewogener Ansatz vereint standardisierte Bewertungsmethoden mit der Ermöglichung kreativer Ausdrucksformen.

Einzelarbeit zu Kooperation und Kollaboration

Bei der Stellschraube zwischen Einzelarbeit und Kooperation kollidieren selbstständiges Arbeiten und soziales Lernen. Einzelarbeit schärft die Selbstständigkeit und Eigenverantwortung, wohingegen Kooperation soziale Kompetenzen fördert. Die Balance findet sich in einer Kombination beider Methoden, die sowohl individuelle Reflexion als auch gemeinschaftliche Synergien ermöglicht.

Strikte Überwachung zu Vertrauensbasierte Kontrolle

Bei der Überwachung und Kontrolle im Bildungskontext ist die Balance zwischen Struktur und Autonomie zentral. Es geht darum, Disziplin und Verantwortungsbewusstsein durch klare Regeln zu sichern, während gleichzeitig Eigeninitiative und Selbstregulierung durch Vertrauensvorschuss gefördert werden. Die Anpassung an die Zielsetzung der Aufgabe, wie die Vorbereitung auf eine Klassenarbeit, ist dabei wesentlich. Es gilt, eine Lernumgebung zu gestalten, die sowohl zum selbstständigen Arbeiten anregt als auch die notwendige Struktur für effektives Lernen bietet.

Lehrerzentrierte Strukturierung zu Autonomes Lernen

Die Vermischung von lehrerzentrierter Strukturierung und autonomem Lernen unterstützt effiziente Wissensvermittlung und individuelle Lernkompetenz durch angeleitete Grundlagen und darauf aufbauende selbstgesteuerte Phasen.

Analoge Methoden zu Digitale Methoden

Der Einsatz von analogen und digitalen Methoden soll Schülerinnen und Schüler sowohl in traditionellen als auch in modernen Kompetenzen schulen. Ein hybrider Ansatz bereichert den Lernprozess um vielfältige Erfahrungen und Fähigkeiten.

Einheitliches Vorgehen zu Individualisierte Lernwege

Bei der Gestaltung von Lernwegen ist die Balance zwischen einem einheitlichen Vorgehen, das Planung und Bewertung erleichtert, und individualisierten Lernwegen, die auf die Bedürfnisse einzelner Lernender abgestimmt sind, essenziell. Eine Mischung aus beidem ermöglicht es, individuelle Lernziele zu verfolgen, während ein gemeinsamer Rahmen die Kohärenz innerhalb der Lerngruppe bewahrt.

Lehrerfeedback zu Multimodales Feedback (Peer-Feedback, KI-Feedback, Lehrerfeedback)

Das Feedback im Lernprozess kann vielfältig gestaltet werden, von direktem Lehrerfeedback bis hin zu Peer- und KI-gestütztem Feedback. Diese multimodale Herangehensweise bietet unterschiedliche Perspektiven und unterstützt so eine Vielzahl von Lernstilen und -bedürfnissen. Die Kombination verschiedener Feedbackformen fördert die Entwicklung einer umfassenden Feedbackkultur, die zur Selbstreflexion anregt und kollegiales Lernen stärkt.

Anwendungsbeispiele

Klassenarbeitsvorbereitung – Erörterung

Für die Klassenarbeitsvorbereitung in Deutsch, wo eine Erörterung thematisiert wird, positionieren wir die Schieberegler wie folgt: Die feste Dauer bleibt ganz links, um einen klar definierten Zeitrahmen sicherzustellen. Der Unterrichtsort ist traditionell der Klassenraum, ebenfalls ganz links positioniert. Ein standardisierter Text wird bevorzugt, um die Vergleichbarkeit der Leistungen zu gewährleisten, daher der Regler auf etwa drei Viertel links. Die Aufgabe wird in Einzelarbeit bearbeitet, wobei die Überwachung und die lehrerzentrierte Struktur stärker ausgeprägt sind, also ebenfalls auf drei Viertel links. Es kommen ausschließlich analoge Methoden zum Einsatz, was den Regler ganz nach links verschiebt. Das Vorgehen ist einheitlich, um Klarheit und Gleichheit zu gewährleisten, also ganz links. Das Feedback ist gemischt, mit Peer-Feedback und einzelnen Lehrerfeedbacks, was den Regler in die Mitte bringt, um eine vielfältige Rückmeldung zu ermöglichen.

Rollenspielentwicklung im Englischunterricht

Für die Entwicklung eines Rollenspiels im Englischunterricht könnten die Schieberegler folgendermaßen gesetzt werden: Ein flexibler Zeitrahmen erlaubt es, den Schülern genügend Raum für Kreativität und Ausarbeitung zu geben. Diverse Lernorte, einschließlich des Klassenraums und eventuell außerschulischer Orte, bereichern die Erfahrung. Digitale und diverse (KI-gestützte) Hilfen unterstützen bei der Recherche und Ausarbeitung. Vielfältige Produktformen, wie Videoaufnahmen des Rollenspiels, fördern kreative Ausdrucksweisen. Kooperation und Kollaboration sind essenziell, da die Schüler gemeinsam an ihren Rollen arbeiten. Ein vertrauensbasierter Ansatz gibt den Schülern Freiheiten in der Entwicklung. Die Balance zwischen lehrerzentrierter Anleitung und autonomem Lernen ermöglicht eine strukturierte Vorbereitung und persönliche Entfaltung. Ein gemischtes Feedback, das Lehrerfeedback, Peer-Feedback und eventuell KI-Feedback kombiniert, unterstützt den Lernprozess umfassend.

Das Schieberegler-Modell bietet eine umfassende Perspektive, die es Lehrkräften ermöglicht, die vielfältigen Aspekte der Aufgabengestaltung systematisch zu betrachten und zu justieren. Durch diese Betrachtungsweise werden unterschiedliche Dimensionen der Aufgabengestaltung sichtbar und handhabbar, was eine präzise Abstimmung auf die Bedürfnisse und Ziele des Unterrichts sowie auf die Fähigkeiten der Schülerschaft erlaubt.


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Quelle:
Krommer, A. (2020, 2. Juli). Didaktische Schieberegler oder: Distanz-Lernen und pädagogische Antinomien. Axel Krommer. https://axelkrommer.com/2020/07/02/didaktische-schieberegler-oder-distanz-lernen-und-padagogische-antinomien/

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