Die Gestaltung zeitgemäßer Prüfungsformate erfordert eine differenzierte Betrachtung der Frage, in welcher Form Lernende ihre Leistungen demonstrieren können und wie sich diese Prüfungsleistung methodisch oder didaktisch ausgestalten lässt. Eine Veränderung wird dadurch notwendig, dass sich nicht nur die zu vermittelnden Kompetenzen erweitert und gewandelt haben sowie komplexer geworden sind, sondern auch die Möglichkeiten zur “Abprüfung” der Kompetenzen vielfältiger geworden sind. Dies gilt nicht nur für die Prüfungssituation, sondern auch für die Lernsituationen. Hinzu kommt, dass mit der oben beschriebenen Veränderung der Kompetenzen auch eine Veränderung des Lernprozesses einhergeht. Diesen Lernprozess auch in Prüfungssituationen abzubilden, ist ebenfalls Teil einer zeitgemäßen Prüfungskultur. Gleichzeitig gilt es Lern- und Leistungssituationen zu differenzieren und genügend Raum zu geben. Es entsteht ein Spannungsfeld zwischen Lern- Leistungs- und Mischsituationen, in dem für einen fairen Bewertungsprozess und einen sicheren Lernraum transparent die jeweilige Situation kommuniziert werden muss: Handelt es sich (1) um eine Phase des Lernens, in der das Erproben, Testen und Ausprobieren im Fokus steht, in der die Schülerinnen und Schüler ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten, sowie die daraus resultierenden Möglichkeiten anhand verschiedener Methoden ausprobieren und erlernen sollen? Handelt es sich (2) um eine Phase der Leistungsüberprüfung, in der die Schülerinnen und Schüler ihren Lernzuwachs in beliebiger Form nachweisen sollen? Handelt es sich (3) um eine Mischform, da es während der Prüfungs- / Leistungssituation einen kumulativen Prozess gibt? Der letzte Fall liegt vor allem dann vor, wenn modernen Kompetenzen durch alternative Prüfungsformate Rechnung getragen wird und der Prozess des Lernens auch innerhalb der Prüfungs- / Leistungssituation im Fokus steht.
Im vorliegenden Systematisierungsansatz werden insgesamt die Ebenen “Zielüberlegungen, Produktdimension, Ausprägungen, Aufgabenformulierungen, Kompetenzen und Bewertung” unterschieden und in ein gemeinsames Konzept gebracht:

Der Systematisierungsansatz zeigt die verschiedenen Ebenen auf, die für die Etablierung einer zeitgemäßen Prüfungskultur zu beachten sind. Zu Beginn steht die Zielüberlegung, die je nach Entwicklungsstand beispielsweise zu Beginn eher eine grobe Planung sein kann, zum Abschluss der Planung allerdings genau formuliert und konkretisiert sein sollte. Daran schließt sich die Wahl der Produktdimension an. Diese wiederum kann durch diverse Ausprägungsformen ausgeschärft und hinsichtlich der jeweiligen Bedürfnisse zugeschnitten und individualisiert werden. Sind Produktdimension und Ausprägung entschieden, ist der nächste Schritt die konkrete Aufgabenformulierung, die eng verknüpft ist mit den fokussierten Kompetenzen. Diese wiederum ergeben sich aus der Wahl der Produktdimension und Ausschärfung sowie der Aufgabenformulierung oder geben diese vice versa vor. Entsteht an dieser Stelle also der Eindruck, dass eine bestimmte Kompetenz nicht stark genug gefordert beziehungsweise gefördert wird, kann an dieser Stelle eine Rückkopplung stattfinden, sodass die Aufgabenformulierung, die Ausschärfungen der Produktdimension oder sogar diese selbst angepasst werden. Die letzte Ebene stellt die Bewertung dar. Hier gilt es erneut die Kongruenz und Tragfähigkeit zwischen Produktdimension inkl. Ausprägungen, Aufgabenformulierungen und fokussierter Kompetenz zu berücksichtigen und gleichzeitig die für die Bewertung so relevante Transparenz für die Lernenden zu ermöglichen.
Der Systematisierungsansatz ist ganz deutlich nicht als starres Modell zu verstehen, sondern kann in einer Art Wellenbewegung agil betrachtet werden, wobei die dargestellten Ebenen nicht nur die Überprüfung der fachlichen Lerninhalte sicherstellen, sondern auch die Fähigkeit der Lernenden fördern, selbstständig zu arbeiten, kritisch zu reflektieren und sich flexibel neuen Herausforderungen zu stellen. Die beschriebene Systematisierung zeigt, wie aus einer scheinbar komplexen Vielfalt an Prüfungsoptionen eine klar strukturierte Auswahl wird: Jede Produktdimension lässt sich mit verschiedenen Ausprägungen auf ganz unterschiedliche Ziele hin zuschneiden, welche durch eine Vielzahl an Kompetenzen erweitert werden, was wiederum auch auf der Bewertungsebene zu berücksichtigen ist. So entsteht eine dynamische und zukunftsorientierte Prüfungslandschaft, in der Lernen und Prüfen eng miteinander verknüpft sind und einander befruchten.
Dieser Artikel wurde zusammen mit Anna Hegermann verfasst und steht unter CC-BY-SA 4.0